Diversitätssensible Jugendhilfe im Land Bremen

TuncelMigration & Integration

Bremen und Bremerhaven sind offene und plurale Städte, in denen der Umgang mit Heterogenität und Vielfalt gelebter Alltag ist. Unabhängig davon, ob in Bildungs- und Betreuungseinrichtungen, in der Freizeit, im Arbeitsleben, im Wohnquartier, im Pflegeheim oder bei den Ämtern und Behörden, die Vielfalt der Bürger:innen erfordert Wertschätzung, Anerkennung und einen sensiblen Umgang miteinander. Eine diskriminierungsfreie Teilhabe am gesellschaftlichen und sozialen Leben ist für alle Menschen gleichermaßen zu gewährleisten. Im Land Bremen gibt es deshalb bereits in vielen Bereichen Konzepte zum Umgang mit Vielfalt und zur Sicherstellung von Teilhabe- und Chancengerechtigkeit unabhängig von der Herkunft, der Religion, des Geschlechtes, der sexuellen Identität oder dem Grad der Behinderung eines Menschen. Beispielhaft seien hier das „Rahmenkonzept gesellschaftliche Teilhabe“ und „Diversity und das Diversity-Management-Konzept für den öffentlichen Dienst“ genannt.

In einem besonders sensiblen und schutzbedürftigen Bereich, der Kinder- und Jugendhilfe, spielt der Umgang mit Heterogenität ebenfalls eine maßgebliche Rolle. Die Vielfalt der Gesellschaft bildet sich entsprechend in den Tätigkeits-feldern der freien und öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe ab und unterliegt stets neuen Entwicklungen. Die Aufgabenstellungen der Jugendämter in Bremen und Bremerhaven erforderten beispielsweise durch den Zuzug unbegleiteter Minderjähriger neue Antworten auf die besondere Situation dieser Zielgruppe. Und auch andere Lebensbereiche junger Menschen sind geprägt durch Konstellationen, die einen differenzierten Blick auf das dahinter liegende (Familien-)System erfordern. Die Frage der Zugehörigkeit je nach Herkunft, Geschlecht, sexueller Identität, Religion oder Behinderung prägen die Lebenswirklichkeit der Heranwachsenden, können sich überschneiden oder vermischen und zu Ungleichheit, Ausgrenzung und Diskriminierung führen. Dementsprechend ist von besonderer Bedeutung, mit welcher Haltung Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe auftreten und agieren. Die Selbstreflexion, Super-vision als auch die kontinuierliche Fort- und Weiterbildung der Pädagog:innen ist daher zentraler Baustein einer diversitätssensiblen Jugendhilfe und elementar für Berufseinsteiger:innen.

Während das Thema Inklusion durch die SGB VIII-Reform auf eine neue gesetzliche Ebene gehoben wurde, dessen konzeptionelle sowie strukturelle Umsetzung zentrale Aufgabe der nächsten Jahre sein wird, ist für das Thema Diversität in der Kinder- und Jugendhilfe eine Selbstverpflichtung notwendig. Voraussetzung dafür ist eine Bestandsaufnahme der Rahmenbedingungen und Angebote sowohl innerhalb der freien und öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe als auch innerhalb der Jugendämter. Darüber hinaus ist die innere Haltung und Qualifikation der Betreuer:innen, Case-Manager:innen und pädagogischen Fachkräfte in den Mittelpunkt des zukünftigen Handelns zu stellen. Ziel ist, die besonderen Stärken, Schwächen, Erfahrungen und Bedürfnisse junger Menschen durch eine diversitätsbewusste Jugendhilfe stärker einzubeziehen und konzeptionell in die Weiterentwicklung einfließen zu lassen. Im Rahmen eines Entwicklungsplans sind daher die bestehenden Ansätze und Angebote einzuordnen und zu bewerten, Handlungsempfehlungen ihrer Weiterentwicklung und möglicherweise effektiveren Verzahnung zu benennen sowie darzustellen, welcher Voraussetzungen es dafür bedarf.
Abschließend sollen im Entwicklungsplan auch die aus den Handlungsempfehlungen und etwaigen zusätzlichen Maßnahmen resultierenden möglichen Folgekosten beziffert werden. Dies ist insofern von zentraler Wichtigkeit, als dass dadurch bereits frühzeitig ein Überblick über die finanziellen Mittel ersichtlich wird, um in der Folge eine langfristige Wirksamkeit der Maßnahmen aus dem Entwicklungsplan gewährleisten zu können.

Die Bürgerschaft (Landtag) möge beschließen:
1. Die Bürgerschaft (Landtag) fordert den Senat auf, einen „Entwicklungsplan zur diversitäts- und diskriminierungssensiblen Jugendhilfe im Land Bremen“ zu erstellen. Der Entwicklungsplan soll darlegen, welche Ansätze und Angebote bereits bestehen und welche Handlungsempfehlungen sich daraus für die zukünftige Arbeit innerhalb der freien und öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe als auch innerhalb der Jugendämter Bremen und Bremerhaven und dem Landesjugendamt ableiten lassen. Insbe-sondere sollen dabei folgende Aspekte Berücksichtigung finden:
a) Überprüfung der bisherigen Arbeitsabläufe im Umgang mit Kindern und Jugendlichen insbesondere hinsichtlich der Vielfalt von Migrationsgeschichte, Religionszugehörigkeit, sexueller und geschlechtliche Identität (zum Beispiel lesbisch, schwul, bisexuell, trans:, inter: oder queer/LSBTIQ), Behinderung, chronischer Erkrankungen (sichtbar und unsichtbar) sowie hinsichtlich möglicher Intersektionalität;
b) Benennung von geeigneten Instrumenten für eine kritische Selbstreflexion der Fachkräfte der Jugendhilfe sowie der Mitarbeiter:innen der Jugendämter zum Rollenverständnis;
c) Organisation von kontinuierlichen Sensibilisierungs- und Weiterbildungsangeboten für die Fachkräfte der Jugendhilfe, insbesondere für Berufseinsteiger:innen;
d) Entwicklung von diversitäts- und diskriminierungssensiblen Leitbildern innerhalb der freien und öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe;
e) Ermittlung und gegebenenfalls Ausbau diversitätssensibler Studieninhalte der sozialarbeiterischen und (sozial-)pädagogischen Studien-gänge an der Hochschule Bremen, der Universität Bremen und des zukünftigen Studiengangs Soziale Arbeit an der Hochschule Bremerhaven;
f) Darlegung von Handlungsempfehlungen unter Berücksichtigung von Synergieeffekten, die sich aus einer Verknüpfung mit dem „Rahmenkonzept gesellschaftliche Teilhabe und Diversity“ und dem „Diversity-Management-Konzept für den öffentlichen Dienst“ sowie dem „Landesaktionsplan gegen Homo-, Trans- und Interfeindlichkeit“ ergeben;
g) Auflistung etwaiger Folgekosten, die aus den Handlungsempfehlungen und potenziellen künftigen Maßnahmen resultieren.
2. Als Auftakt des Prozesses ist eine öffentliche Diskussion mit den Trägern der freien und öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe, dem Queerpolitischen Beirat des Landes Bremen, der Bremischen Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau (ZGF), dem Landesbehindertenbeauftragten und dem Bremer Rat für Integration durchzuführen. Ziel ist die Beteiligung der Bremer Akteur:innen sowie ein Austausch über bremische und bundesweite Ansätze und Studien einer diversitätssensib-len Jugendhilfe. Die Erkenntnisse der Diskussion sollen in den Entwicklungsplan einfließen.
3. Die Bürgerschaft (Landtag) fordert den Senat auf, den Entwicklungsplan unter Einbeziehung des Landesjugendhilfeausschusses zu erstellen und spätestens bis Dezember 2022 der staatlichen Deputation für Soziales, Ju-gend und Integration und der staatlichen Deputation für Sport sowie der Bürgerschaft (Landtag) vorzulegen.

Sahhanim Görgü-Philipp, Dr. Solveig Eschen, Kai Wargalla, Björn Fecker und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Cindi Tuncel, Sofia Leonidakis, Nelson Janßen und Fraktion DIE LINKE
Petra Krümpfer, Mustafa Güngör und Fraktion der SPD