Pflegende Kinder und Jugendliche im Land Bremen besser unterstützen!

Rund 4,8 Millionen Menschen kümmern sich in Deutschland um kranke und pflegebedürftige Angehörige – zumeist Frauen, aber auch Männer, Kinder und Jugendliche. Pflegende Kinder und Jugendliche, sogenannte Young Carer, sind junge Menschen, die regelmäßig pflegebedürftigen Familienmitgliedern mit psychischen und körperlichen Erkrankungen oder Behinderungen helfen beziehungsweise diese pflegen. Von hauswirtschaftlichen oder administrativen Aufgaben, Betreuungsleistungen für jüngere Geschwister über pflegerische bis hin zu medizinischen Tätigkeiten übernehmen sie damit vergleichbare Leistungen wie erwachsene pflegende Angehörige.

Laut einer Studie der Universität Witten-Herdecke leben in Deutschland knapp eine halbe Million pflegende Kinder und Jugendliche im Alter von zwölf bis 17 Jahren. Das entspricht 6,1 Prozent aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland, die eine:n Angehörige:n pflegen. Umgerechnet auf eine Schulklasse gibt es statistisch gesehen somit in jeder Klasse ein bis zwei Schüler:innen, die sich zu Hause um eine:n Angehörige:n kümmern. In der Regel sind die Kinder und Jugendlichen nicht die Hauptpflegeperson, sondern in unterschiedlichem Umfang unterstützend tätig. Die Pflege der Angehörigen kann dabei bis zu zwölf Jahre andauern, wobei die Aufgaben mit zunehmendem Alter der zu pflegenden Familienangehörigen wachsen und komplexer werden.

Je größer der Unterstützungsbedarf für die zu pflegenden Familienangehörigen dabei ist, desto weniger sind pflegende Kinder und Jugendliche in ihrem sozialen Umfeld sichtbar und aktiv. Das kann in der Folge nachteilige schulische, soziale, körperliche und psychische Auswirkungen auf die pflegenden Jugendlichen haben, da die Kinder- und Jugendphase entscheidend für die Entwicklung und Sozialisation ist. Überlastungen, wie sie Young Carer auch erleben müssen, können dadurch ihre gleichberechtige Chance auf ein gutes Leben – von einem guten Schulabschluss bis hin zum gewünschten Ausbildungs- oder Studienplatz – beeinträchtigen.

Im Gegensatz zu erwachsenen pflegenden Angehörigen, gibt es für pflegende Kinder und Jugendliche bislang generell wenig Unterstützungsangebote – auch weil die Thematik gesellschaftlich bisher kaum Wahrnehmung findet. Pflegende Kinder und Jugendliche bleiben daher häufig unsichtbar. Auch wenn das Thema seit wenigen Jahren medial präsenter wird, bedarf es deutlich mehr Aufmerksamkeit und Sensibilisierung für diese Gruppe sowie konkrete Unterstützungsmaßnahmen, um Young Carer auch im Land Bremen zu unter-stützen und zu entlasten. Bereits bestehende Angebote, die sich explizit an Kinder und Jugendliche richten, gilt es dabei zu verstärken und als Good-Practice-Beispiele hervorzuheben, sodass sich dadurch Synergieeffekte für neue Unterstützungsangebote entfalten können.

Generell haben Pflegebedürftige und ihre Angehörigen nach § 7a Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) einen gesetzlichen Anspruch auf eine kostenlose Beratung der zuständigen Pflegekasse. Die tatsächliche Inanspruchnahme weist jedoch in der Praxis Diskrepanzen zur gesetzlichen Regelung auf. Ähnliches gilt für die grundlegende Bewilligung von Leistungen in der häuslichen Pflege, zum Beispiel bei der Behandlungspflege nach § 37 Absatz 2 SGB V, die oftmals systematisch von den Krankenkassen erschwert, verkürzt oder abgelehnt werden. Im Allgemeinen sind somit die rechtlichen Rahmenbedingungen an sich zwar ausreichend geregelt, diesen wird jedoch vonseiten der Kassen in der Praxis nicht in ausreichendem Maße nachgekommen. Insbesondere für junge Pflegende ist diese Situation herausfordernd, da sie oftmals weniger „Standing“ und Wissen haben (können), Unterstützungsleistungen durchzusetzen. Zudem sollte der Bund eine entsprechende Ausweitung der gesetzlichen Bestimmungen für den Anspruch auf eine Haushaltshilfe nach § 38 SGB VIII schaffen, sodass Kinder und Jugendliche jenseits der derzeit gültigen Altersgrenze von zwölf Jahren weiter Unterstützung bekommen können. Auch Entlastungen im Bereich der Studierenden, die sich um die Pflege von Angehörigen kümmern sowie eine verbesserte Sensibilisierung in den Schulen sollten forciert werden.

Vor diesem Hintergrund möge die Bürgerschaft (Landtag) beschließen:

Die Bürgerschaft (Landtag) fordert den Senat auf,
1. einen öffentlichen Fachtag – gemeinsamen organisiert von der Senatorin für Kinder und Bildung, der Senatorin für Soziales, Jugend, Integration und Sport sowie der Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz – zum Thema Young Carer einzuberufen und dazu relevanten Akteur:innen aus den Bereichen Schule/Studium, Pflege, Jugend und Familie sowie Betroffene und ehemalig Betroffene einzuladen. Ziel des Fachtags soll sein, mögliche Problemlagen der Young Carer sichtbar zu machen, sie zu eruieren und Möglichkeiten auszuloten, wie Young Carer besser unterstützt werden können. Aus dem Fachtag soll sich zudem nach Möglichkeit eine übergreifende Arbeitsgruppe interessierter Akteur:innen finden, die das Thema weiterbearbeitet.
2. zu prüfen, inwieweit mögliche Unterstützungs- und Hilfemaßnahmen strukturell und zielgruppenorientiert im Land Bremen etabliert und entsprechend finanziell ausgestattet werden können. Diese könnten folgende Unterstützungs- und Hilfemaßnahmen und mehr umfassen, dabei gilt es, bestehende Angebote auszuweiten und zu vernetzen:
a) Sensibilisierung der Akteure im Land Bremen, die Pflegeberatungen nach § 7a und § 37 Absatz 3 SGB XI durchführen, für das Thema Young Carer mit dem Ziel, ihre Beratungsangebote in angemessenem Umfang kind- und jugendgerecht zu gestalten, und um die besonderen Bedarfe und Herausforderungen der betroffenen Familien und jungen Pflegenden wie zum Beispiel die Organisation der Pflege während Schulfahrten, der Ferien oder Prüfungszeiträumen zu erweitern;
b) Angebote einer sozialpädagogischen Familienhilfe für Young Carer, insbesondere in sehr belastenden Phasen;
c) Niedrigschwellige Selbsthilfeangeboten zum Beispiel in Form von Kursen für Young Carer.
3. eine zielgruppengerechte Informations- und Sensibilisierungskampagne zu diesem Thema zu initiieren.
4. Lehrer:innen, Schulsozialarbeiter:innen und Gesundheitsfachkräfte an Schulen oder in den Quartieren durch Fortbildungen stärker für das Thema zu sensibilisieren und außerdem zu prüfen, inwieweit die Thematik an Schulen in Form von Unterrichtskonzepten, Projekttagen und Infomaterialien für Schüler:innen bearbeitet werden kann.
5. sich im Bundesrat dafür einzusetzen, Möglichkeiten zur Lockerung der Regelstudienzeit für Young Carer, analog zu den geltenden Regelungen der Kindererziehung nach § 15 Absatz 3 Nummer 5 Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG), umzusetzen.
6. sich auf der Bundesebene für die Erhöhung der Altersgrenze der gesetzlichen Bestimmungen für den Anspruch auf eine Haushaltshilfe nach § 38 SGB V auf 16 Jahre einzusetzen.
7. der staatlichen Deputation für Soziales, Jugend und Integration, der staatlichen Deputation für Kinder und Bildung sowie der staatlichen Deputation für Gesundheit und Verbraucherschutz sechs Monate nach Beschlussfassung zu berichten.

Birgitt Pfeiffer, Gönül Bredehorst, Ute Reimers-Bruns, Mustafa Güngör und Fraktion der SPD
Ilona Osterkamp-Weber, Björn Fecker und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Sofia Leonidakis, Cindi Tuncel, Nelson Janßen und Fraktion DIE LINKE