Abschiebungen in 2023 und im ersten Halbjahr 2024
Seit 2022 steigt die Zahl der Abschiebungen bundesweit erheblich. Im Jahr 2023 wurden 16.430 Menschen aus Deutschland abgeschoben, was einen deutlichen Anstieg gegenüber den Vorjahren bedeutet. 2022 hatte die Zahl der Abschiebungen bei 12.945 gelegen, 2021 noch bei 11.982. Die wichtigsten Zielstaaten der Abschiebungen waren 2023 Georgien, Österreich, Nordmazedonien, Albanien und Moldau. Auch die Zahl der bundesweiten Dublin-Überstellungen, die eine Teilmenge der Abschiebungen sind, ist 2023 gestiegen: 5.053 Personen wurden im vergangenen Jahr in andere EU-Staaten überstellt (2022: 4.158), die meisten davon nach Österreich, Frankreich und Spanien.
In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Berichte über Polizeigewalt, Familientrennungen, Fesselungen und Zwangsmedikationen bei Abschiebungen (vgl.die Bundestagsdrucksachen 19/4960 und 19/7401). Bereits im Jahr 2019 rügte das Antifolterkomitee des Europarates die deutsche Abschiebepraxis. Die Behörden sollten demnach insbesondere auf „unverhältnismäßige und unangemessene“ Gewaltanwendung verzichten und Maßnahmen unterlassen, die bei den Betroffenen ein Erstickungsgefühl auslösten oder ihnen starke Schmerzen zufügten, etwa durch Quetschen der Genitalien (www.spiegel.de/politik/deutschland/abschiebungen-
europarat-kritisiert-deutschland-bericht-des-anti-folter-komitees-cpt-a-126650
7.html). Auf ein gewaltsames Vorgehen bei Abschiebungen deutet auch der Einsatz von sogenannten Hilfsmitteln der körperlichen Gewalt hin. 2023 setzten Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte während Abschiebungen in 1.040 Fällen Hand- und Fußfesseln, Stahlfesseln und sogenannte Body Cuffs ein (2022: 800, 2021: 716). Am häufigsten wurden Menschen bei Abschiebungen in die Zielstaaten Algerien, Gambia und Nigeria gefesselt. Im ersten Halbjahr 2024 wurde die Zahl der Abschiebungen bundesweit noch einmal erhöht.
Dabei werden hunderte Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten und auch 1.725 Minderjährige abgeschoben. Auch Bremen hat im ersten Halbjahr 2024 bereits mehr Menschen abgeschoben als noch im gesamten vergangenen Jahr. So zählt die Bundesregierung 30 Abschiebungen unter der Zuständigkeit Bremens im laufenden Jahr, der Bremer Innensenator 36 Abschiebungen im selben Zeitraum. Laut Bundesregierung wurde nur eine Person über den Bremer Flughafen abgeschoben (vgl. Bundestag Drs. 20/12626). Es liegt nahe, dass viele Abschiebungen über Hamburg und Hannover erfolgen.
Wir wollen den Anstieg beleuchten und fragen danach, wer mit welchen Mitteln abgeschoben wird. Klar ist: Abschiebungen lösen keine Probleme. Abschiebungen erhöhen nicht die Sicherheit. Abschiebungen bauen keine Wohnungen. Abschiebungen schaffen keine Kitaplätze. Abschiebungen stellen keine Lehrerinnen und Lehrer ein. Abschiebungen verbessern keine Arbeitsbedingungen in Kliniken und sichern keine Renten. Abschiebungen sind gewaltvolle Scheinpolitik. Daher sehen wir als LINKE den Diskurs um Abschiebungen, der teils mit entmenschlichenden Darstellungen von Schutzsuchenden einhergeht, kritisch.
Wir fragen den Senat:
Alle Fragen beziehen sich auf den Zeitraum 2023 und die abgeschlossenen drei Quartale 2024, soweit nicht anders aufgeführt:
Abschiebungen
1. Wie viele Abschiebungen gab es aus Bremen (bitte auch im Folgenden nach Monaten aufschlüsseln)?
a. Wie viele Abschiebungen gab es in welche Zielländer?
b. Welche Staatsangehörigkeiten hatten die Betroffenen?
c. Welche Abschiebewege wurden gewählt, differenziert nach Luft-, Land- und
Seeweg (bitte auch die jeweiligen Flughäfen, Bahnhöfe, Häfen sowie Flugge-
sellschaften angeben)?
2. Wie viele Frauen wurden abgeschoben (bitte nach Zielländern und Staatsangehörigkeiten differenzieren)?
3. Wie viele Minderjährige wurden abgeschoben (bitte nach Zielländern und Staatsangehörigkeiten differenzieren)?
4. Wie viele Überstellungen nach der Dublin-Verordnung gab es (bitte nach Zielstaaten,
Geschlecht, Alter und Staatsangehörigkeit differenzieren)?
5. Fanden Zurückschiebungen am Flughafen oder an den Häfen statt?
a. Falls ja, wie viele unbegleitete Minderjährige waren betroffen?
6. Wie viele Abschiebungen in der Zuständigkeit anderer Länder oder des Bundes wurden über Bremen oder mit Amtshilfe Bremen ausgeführt, wie viele über den Flughafen Bremen, wie viele über andere Wege (bitte auflisten)?
7. Wie viele Menschen wurden aus Bremen im Zuge von Sammelabschiebungen entweder direkt in ihr Herkunftsland oder über andere Flughäfen Deutschlands oder von Mitgliedsstaaten der EU abgeschoben oder in andere EU-Staaten überstellt?
8. Wie hoch waren die Kosten jeweils für die Flüge und sonstige Wege der Abschiebung oder Überstellung und welcher Anteil wurde vom Bund oder europäischen Stellen übernommen?
9. Wie viele Abschiebungen erfolgten
a. unbegleitet?
b. in Begleitung von Beamt*innen der Polizei oder anderer Länderbehörden?
c. in Begleitung der Bundespolizei?
d. in Begleitung von Sicherheitskräften der jeweiligen Zielstaaten?
e. in Begleitung von Sicherheitskräften von Fluggesellschaften (bitte nach Flug-
gesellschaften und nach Zielstaaten aufschlüsseln und auch die Namen der
von den Fluggesellschaften beauftragten Sicherheitsunternehmen nennen)?
10. Wie viele Kosten sind der Freien Hansestadt Bremen je 2023 und in den abgeschlossenen Quartalen 2024 durch die Sicherheitsbegleitung entstanden?
11. Gab es Abschiebungen von Personen in laufenden Asyl- oder Gerichtsverfahren oder entgegen anderslautender Behördenentscheidungen und wenn ja, durch welche Behörde wurden diese Abschiebungen veranlasst, welche Staatsangehörigkeit hatten die Betroffenen und in welches Land wurden sie abgeschoben?
12. Wie oft wurden je bei Abschiebungen Hilfsmittel der körperlichen Gewalt eingesetzt, welche Mittel waren dies, welche Staatsangehörigkeit hatten die Betroffenen und in welche (Ziel-)Staaten wurden sie abgeschoben (bitte nach Halbjahren differenzieren)?
13. Wie viele Personen haben Bremen mit einer finanziellen Förderung durch das Land oder den Bund (bitte differenzieren) verlassen und welchen Aufenthaltsstatus hatten die Betroffenen vor der Ausreise (bitte nach Monaten differenzieren)?
14. Wie viele ausreisepflichtige Personen mit und ohne Duldung, wie viele ausreisepflichtige abgelehnte Asylsuchende (bitte differenzieren) hielten sich zum letzten verfügbaren Stand in Bremen auf, und welche waren die fünf Hauptherkunftsländer der Ausreisepflichtigen (bitte in absoluten und relativen Zahlen und nach Stadtgemeinde auflisten)?
15. Wie viele Abschiebungen wurden direkt aus der Strafhaft vollzogen, wie viele von diesen vor der Ableistung der Gesamtstrafe?
a. Wie lange lebten die Betroffenen jeweils in Deutschland und wie alt waren
sie?
b. Welche Staatsangehörigkeit(en) hatten die Betroffenen und in welches Ziel-
land wurden sie abgeschoben?
16. Wie lautet die Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Senator für Inneres und der Senatorin für Justiz über den Informationsaustausch beim Erlass und Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber im Strafvollzug inhaftierten Ausländern (vgl. Drs. 20/901)?
17. Wie viele der Abgeschobenen wurden zuvor in den geschlossenen Vollzug zurückverlegt, wie viele von ihnen wegen Fluchtgefahr?
18. Bei wie vielen Inhaftierten mit einer Ausreiseverfügung wurden keine Haftlockerungen genehmigt (bitte absolut und anteilig darstellen)?
19. Bei wie vielen Inhaftierten wurden insgesamt Haftlockerungen genehmigt, abgelehnt oder widerrufen (Rückverlegung in den geschlossenen Vollzug) (bitte absolut und anteilig darstellen)?
20. Wie viele Menschen wurden in Abschiebehaft genommen, welche Staatsangehörigkeit hatten sie und in welches Zielland sollten sie abgeschoben werden (bitte nach Monaten aufschlüsseln)?
a. Welches Geschlecht und Alter hatten die Betroffenen?
b. Wie viele von Ihnen mussten nach einem Gerichtsbeschluss aus der Haft ent-
lassen werden?
c. Wie viele von Ihnen wurden tatsächlich abgeschoben?
d. Wie lang war die mediane Haftdauer?
e. Wie hat sich die mediane Haftdauer seit dem Inkrafttreten des „Rückführungs-
verbesserungsgesetz“ entwickelt und wie viele Menschen wurden seitdem in
Abschiebehaft genommen?
f. Wie viele Menschen waren länger als zwei Wochen inhaftiert (bitte Länge für
jeden Fall auflisten)?
21. Falls Menschen nicht tatsächlich abgeschoben wurden, aus welchem Grund war dies nicht der Fall?
22. Aus welcher Organisationseinheit stammten die Anträge auf Anordnung der Abschiebehaft jeweils (nach Organisationseinheiten auflisten)?
Dariush Hassanpour, Cindi Tuncel, Tim Sültenfuß, Sofia Leonidakis, Nelson Janßen und Fraktion DIE LINKE