Migrantische Repräsentanz in der Verwaltung: Bildet der öffentliche Dienst die Gesellschaft ab?
Das Land Bremen sowie auch die Bundesrepublik zeichnen sich durch eine plurale und vielfältige Gesellschaft aus. Zahlreiche Menschen aus aller Welt leben hier seit Jahren oder Generationen und haben Wurzeln geschlagen. Ihre Kinder sind hier geboren und/oder aufgewachsen, haben die Schule besucht und ein Studium oder eine Lehre abgeschlossen. Bereits seit Generationen sind Migrant:innen und ihre Nachkommen ein Teil Bremens und Deutschlands. Im Jahr 2019 hatten 36,5% der Bremer*innen einen sogenannten „Migrationshintergrund“ (Fremdbezeichnung, vgl. Ergebnisse Mikrozensus 2019 statistisches Bundesamt), sprich mindestens eines ihrer Elternteile hat eine eigene Migrationserfahrung. Hinzu kommen Menschen, die ohne einen statistischen „Migrationshintergrund“ migrantisiert und als nicht der Mehrheitsgesellschaft zugehörig markiert werden und in diesem Zusammenhang rassistische Diskriminierungserfahrungen machen. Leider spiegelt sich die Tatsache der bremischen Migrationsgesellschaft in den staatlichen Institutionen nicht entsprechend wider. Der Anteil von Beschäftigten mit Migrationshintergrund liegt weit unter dem Anteil ohne Migrationshintergrund. Dabei ist zu bedenken, dass in Datenerhebungen nicht der sogenannte Migrationshintergrund, sondern nur die Staatsangehörigkeit von Beschäftigten erfasst wird. Bei einer Erhebung durch den Senat im Rahmen einer parlamentarischen Anfrage der Linksfraktion im Jahr 2008 betrug der Anteil von Bremer*innen ohne deutschen Pass 14,5 Prozent, ihr Anteil an Beschäftigten in der Kernverwaltung hingegen nur 1 Prozent, in den ausgegliederten Bereichen 4,8 Prozent, daraus ergeben sich durchschnittliche 2,1 Prozent im gesamten öffentlichen Dienst (vgl. Drs. 17/621). Diese deutliche Unterrepräsentanz dürfte sich bei Beschäftigten mit Migrationsgeschichte ähnlich darstellen. Dies zeigt auch eine Befragung zur Beschäftigtenstruktur im öffentlichen Dienst von 2013, über die ermittelt werden konnte, dass zu diesem Zeitpunkt der Anteil der Beschäftigten mit Migrationsgeschichte in der Stadt Bremen bei 13 Prozent und in der Stadt Bremerhaven bei 16 Prozent lag. Die Befragung zeigte, dass davon ca. 80 Prozent der Beschäftigten eine deutsche Staatsangehörigkeit besaßen und fast 43 Prozent in Deutschland geboren wurden. Die fehlende Repräsentation von gesellschaftlich bereits marginalisierten Bevölkerungsgruppen in der öffentlichen Verwaltung verschärft bereits bestehende Ungleichheiten im gesamten Feld staatlichen und nicht-staatlichen Handelns.
Um mehr Menschen mit Migrationsgeschichte in den öffentlichen Dienst zu bringen, hat der Senat am 24. November 2020 ein neues Diversity Management Konzept beschlossen. Dieses befasst sich nicht nur mit dieser Zielgruppe, sondern orientiert sich auch an anderen Merkmalen „wie Geschlecht, Alter, ethnische Herkunft, Religion und Weltanschauung, sexuelle Identität und Behinderung sowie weiteren Gesichtspunkten, wie zum Beispiel die soziale Herkunft. Das Diversity Management im bremischen öffentlichen Dienst will Barrieren abbauen, Zugangs- und Teilhabechancen verbes-sern, die Akzeptanz in der vielfältigen Stadtgesellschaft erhöhen sowie die Arbeitgeberattraktivität steigern“. Im neuen Konzept werden zahlreiche Maßnahmen und Ziele benannt, wie eine erneute anonyme Befragung der Beschäftigten, die Gründung einer ressortübergreifenden Diversity-Kommission für den bremischen öffentlichen Dienst, Bildungsangebote im Bereich der Antidiskriminierung und transkulturellen Öffnung und die Schaffung eines Leitfadens zu diversitätsbewusster Sprache. Auch die 2009 gestartete Ausbildungskampagne „Du bist der Schlüssel“ soll neu ausgerichtet werden. Wichtig erscheint die Einbindung von migrantischen Selbstorganisationen und weiteren sachkundigen Stellen im Land bei den Bemühungen des Senats in allen Bereichen öffentlichen Lebens, um Menschen mit Migrationsgeschichte und migran-tisierte Menschen zu unterstützen und ihre Repräsentanz zu erhöhen.
Wir fragen den Senat:
I Struktur und Beschäftigung im öffentlichen Dienst
1. Wie wird die Beschäftigungsquote von Menschen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst im Lande Bremen derzeit erfasst und wie stellt sie sich nach den erfassten Kriterien dar? (Bitte nach Stadtgemeinden und folgenden Kriterien aufschlüsseln: Gesamtquote und -anzahl, Geschlecht der Beschäftigten im öffentlichen Dienst mit Migrationshintergrund, Alter, Tätigkeitsbereiche (Kernverwaltung, nachgeordnete Dienststellen und Behörden, Eigenbetriebe und öffentliche Gesellschaften) und Dienstgrad)?
2. Wie viele Leitungspositionen gibt es im öffentlichen Dienst der Freien Hansestadt Bremen und viele davon werden von Personen mit Migrationshintergrund bekleidet (bitte differenzieren nach Kernverwaltung, nachgeordnete Dienststellen und Behörden, Eigenbetriebe und öffentliche Gesellschaften)?
3. In welchen Bereichen des öffentlichen Dienstes sind Beschäftigte mit Migrationshintergrund (ggf. ausländischer Staatsangehörigkeit) besonders unterrepräsentiert und warum?
4. Falls die Beschäftigungsquote von Menschen mit Migrationshintergrund nicht nach den in Frage 1 genannten Kriterien erfasst wird, werden diese im Rahmen der geplanten anonymisierten Befragung der Beschäftigten erfasst?
5. Aus welchem Grund wird die anonymisierte Befragung der Beschäftigten bis Ende 2023 geplant und unter welchen Voraussetzungen könnte dieser Prozess beschleunigt werden?
6. In welchem Umfang und an welchen Stellen werden derzeit anonymisierte Be-werbungsverfahren für Stellen im öffentlichen Dienst angewendet?
7. Wie werden die nach dem AGG zu schaffenden Beschwerdestellen geschult und unter den Beschäftigten bekannt gemacht und werden externe Beschwerdeberechtigte wie Bewerber*innen ebenfalls auf diese Stellen hingewiesen?
8. Wie werden die Angebote von Antidiskriminierungsberatungsstellen wie ADA und ADE den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes bekannt gemacht?
9. Sieht der Senat den Bedarf zur Schaffung von Antirassismusbeauftragten in den Behörden analog zu den Frauenbeauftragten, an die sich sowohl Mitarbeitende als auch Kund*innen wenden können, wenn sie sich rassistisch diskriminiert fühlen?
10. Wie beurteilt der Senat die Umbenennung der/des Integrationsbeauftragten in Beauftragte*r gegen Rassismus und für gleiche Teilhabe, den Ausbau der Handlungsmöglichkeiten und Ressourcen dieser Stelle und wann soll die derzeit nur kommissarisch besetzte Stelle wieder regulär besetzt sein?
II Diversität und Antidiskriminierung
11. Wie werden die Bildungsangebote von AFZ für Führungskräfte und andere Beschäftigte bekannt gemacht und wie werden diese motiviert, daran teilzunehmen?
12. Finden diese Angebote während der Arbeitszeit oder am Wochenende statt?
13. Wie und zu welchem Anteil wird der Themenkomplex Diversität in den Studiengängen der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung abgebildet?
14. Werden Schulen, Berufsschulen, außerschulische Bildungseinrichtungen, Erwachsenenschulen, die Jugendberufsagentur, die Arbeitsagentur, das Job-center oder andere Bildungsträger in der neuen Konzipierung der Kampagne „Du bist der Schlüssel“ miteinbezogen?
15. Wie bewertet der Senat die Möglichkeit eines Landes-Antidiskriminierungsgesetzes, das auch ein Verbandsklagerecht vorsieht?
16. Wie bewertet der Senat die Möglichkeit eines Partizipationsgesetzes, welches u.a. eine verbindliche Steigerung des Anteils migrantischer Menschen im öffentlichen Dienst anstrebt, ähnlich wie Berlin es tut?
III Einbindung migrantischer Selbstorganisationen
17. Sieht der Senat die Möglichkeit, Qualifizierungsbedarfe migrantischer Selbstorganisationen zu erfassen und die gewünschten Fortbildungsangebote zu finanzieren?
18. Wurden externe Expert*innen der Antidiskriminierungsarbeit in der Konzeption der Maßnahmen involviert, wie zum Beispiel die Beratungsstellen ADA und ADE oder wurde migrantisch situiertes Wissen anderweitig herangezogen? Wenn nicht, plant der Senat diese in Zukunft zu involvieren?
19. Wie beurteilt der Senat die Einrichtung eines Beirats aus zivilgesellschaftlichen und/oder betroffenen Akteur*innen, der die ressortübergreifende Diversity-Kommission für den bremischen öffentlichen Dienst begleitet und zu Rate gezogen werden kann?
20. Hat der Senat in Erwägung gezogen, den Bremer Rat für Integration oder an-dere Vertreter*innen migrantischer Interessen in die Kommission einzuladen, wie die ZGF und der Landesbehindertenbeauftragte eingeladen wurden, und wie stellt sich die Repräsentation vom LGTBIQ*-Belangen in der Kommission dar?
21. Erwägt der Senat die Einbeziehung weiterer externer Berater*innen bei der Entwicklung konkreter Diversity-Formate und -Maßnahmen?
22. Wie bewertet der Senat die vom Bremer Rat für Integration geforderten Nachbesserungen hinsichtlich der Partizipation, der Begriffsbestimmungen, der Konkretisierung der Maßnahmen und der Erfolgsmessung vorzunehmen?
Cindi Tuncel, Sofia Leonidakis, Ingo Tebje, Nelson Janßen und Fraktion DIE LINKE
Björn Fecker und Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Arno Gottschalk, Valentina Tuchel, Mustafa Güngör und Fraktion der SPD